helfen könnte. Es hat nicht viel mit Sex oder Stärke oder sonst was zu tun.« Tamme schüttelte fasziniert den Kopf. »Das ist weit hergeholt und irrational. Es wäre sehr informativ, die Probe aufs Exempel zu machen.«

»Halten Sie den Mund.«

»Auch das ist faszinierend.«

Veg erhob sich und stampfte davon. Aber er ging nicht weit, denn die Wände warteten.

Tamme versetzte ihr Bewußtsein in eine Heilverfassung und konzentrierte sich auf das Gewebe von Gesicht und Augen.

Wie alle Agenten verfügte sie über eine gewisse bewußte Kontrolle vieler normalerweise unbewußter Körpervorgänge und konnte einen Heilungsprozeß auf phänomenale Art und Weise beschleunigen, indem sie den Großteil ihrer Körperreserven auf die betroffene Stelle lenkte.

Die äußeren Augenlinsen waren klein, aber es bereitete Schwierigkeiten, unmittelbar auf sie einzuwirken. Mehrere Stunden äußerster Konzentration würden erforderlich sein.

Als der Projektor wieder aufgeladen war, brachte Veg sie hinüber.

Tamme setzte ihre Anstrengungen im Wald fort, und innerhalb von vier Stunden klärte sich ihre Sicht.

»Sie meinen, Sie können wieder sehen?« erkundigte sich Veg.

»Nicht gut. Ich schätze, daß ich in weiteren zwei Stunden über drei Viertel meines Sichtvermögens verfügen kann. Das wird reichen, weil zwei vertraute Gefüge vor uns liegen sollten. Wenn ich meine spezifischen Anstrengungen einstelle, wird sich die Genesung verlangsamen. Es wird mehrere Tage dauern, um über

234

neunzig Prozent zu kommen. Das ist keine Zeitverzögerung wert.«

»Sie sind hart, okay, okay!«

»Nach Ihrer Definition eine Schwäche.«

»Nicht unbedingt. Man kann hart sein und trotzdem jemanden brauchen. Aber dieses Thema hatten wir schon.« Zur gegebenen Zeit wechselten sie über in

das Nebelgefüge und das

fremde Orchester, wobei sie dem Muster des He- xaflexagons folgten. Ihre Strategie, den direkten Weg nach vorne zu nehmen, schien sich auszuzahlen. Sie blieben nicht in irgendwelchen Subschleifen stecken. Vermutlich waren sie auch vorher nicht steckengeblieben, sie hatten nur das Muster nicht verstanden.

»Jetzt werden wir in ein neues Gefüge vorstoßen«, sagte Tamme.

»Sie sind bereit?«

»Mein Sichtvermögen liegt bei achtzig Prozent und verbessert sich weiter. Meine übrigen Fähigkeiten haben ihren normalen Standard. Ich bin bereit.«

»Okay.«

Und sie traten hindurch.

Tamme taumelte nach vorne und hielt sich fest, bevor sie stürzte. Veg sackte nach unten, fand jedoch einen Halt, bevor er sich zu weit entfernte.

Es handelte sich um eine endlose Konstruktion aus Metallstäben. Sie kreuzten sich und bildeten offene Ku- bikel mit einer Seitenlänge von knapp zwei Metern. Es war nicht zu erkennen, daß sie irgendwo aufhörten.

»Ein Klettergarten!« rief Veg. »Als ich ein Junge war,

hatten wir so einen in unserer Schule!« Er kletterte und schwang glücklich hin und her.

»Suchen wir einen Projektor«, sagte Tamme.

»Muß sich auf einer dieser Streben befinden.«

»Wir müssen nach einem dreidimensionalen Such- muster vorgehen. Genau wie bei den bunten Platten sieht es überall gleich aus. Wir wollen vermeiden, daß wir uns einen bereits überprüften Sektor nochmals vornehmen.«

»Klar. Vielleicht sollten wir da, wo wir anfangen, eine Markierung anbringen, und uns von diesem Punkt aus vorarbeiten. Das dauert, ist aber sicher.«

Sie banden sein Hemd an einer Querstange fest und begannen mit der Überprüfung. An den Stäben entlangzusehen, brachte nicht viel. Die endlosen Querstreben sorgten dafür, daß die Sichtlinie unterbrochen wurde, wodurch die Gegenwart des Projektors nicht verifiziert werden konnte. Es war notwendig, in jeden Kubikel hineinzublicken. Aus der Entfernung war die Wirkung des Meers von Stangen eigenartig: Aus einigen Blickwinkeln wurden sie zu einer scheinbar festgefügten Wand. Vom Zentrum eines Kubikels aus gesehen schien es sechs quadratische Tunnel zu geben, die nach oben, nach unten und in die vier horizontalen Richtungen führten.

Als Tamme routinemäßig einen dieser Tunnel hinunterblickte, nahm sie einen Schatten wahr. Er sah aus wie ein Mann.

Sie sagte nichts. Statt dessen bewegte sie sich seitwärts über mehrere Kubikel hinweg, unterbrach dabei die Sichtlinie in allen drei Dimensionen und machte sich auf die Suche nach Veg.

Sie war in der Lage, ihn anhand der Geräusche zu orten. »Sie haben die falsche Position«, sagte sie.

»Nein, ich folge unserem Muster. Sie sind abgewi- chen.«

»Ich habe meine Position verlassen. Wir haben Gesellschaft.«

»Oh! Fremde?«

»Menschliche.«

»Ist das gut oder schlecht?«

»Ich bin mir nicht sicher. Wir sollten ihn beobachten, wenn wir Gelegenheit dazu bekommen.«

»Hier ist die Gelegenheit!« flüsterte Veg.

Und wirklich schob sich längs einer horizontalen Achse eine Gestalt ins Blickfeld.

»Das sind Sie!« flüsterte Tamme. »Ein anderer Veg!«

Sie wußte, was er jetzt sagen würde: Ihre Augen scheinen nur vierzig Prozent zu sehen! Ich bin HIER!

Aber sie irrte sich.

»Nun, wir wußten, daß dies passieren könnte«, sagte er. »Ein anderes Paar, genau wie wir, aus einer nahen Alternativwelt. Wir müssen den Projektor eben zuerst finden.«

Tamme machte sich in Gedanken eine Notiz: Die Episode mit dem Säurewerfer mußte ihr Wahrnehmungsvermögen getrübt haben. Nicht nur, daß sie Vegs Reaktion falsch gelesen hatte - er klang auch anders, weniger besorgt, als er eigentlich sein sollte. Sie würde sich bei nächster Gelegenheit neu orientieren müssen, um zu vermeiden, daß sie einen ernsthaften Fehler beging.

In der Zwischenzeit konzentrierte sie sich. »Wir sind im Vorteil, weil wir sie zuerst gesehen haben. Wir können unsere Chancen weiter erhöhen, indem wir unserem Suchmuster vor ihnen folgen. Auf diese Weise werden sie einen Raum überprüfen, den wir schon hinter uns gelassen haben und von dem wir wissen, daß es dort keinen Projektor gibt.«

»Clever«, stimmte er ihr zu.

Gestützt auf ihr zweimaliges Sehen des fremden Veg

und die Annahme, daß das andere Paar nicht weit von ihrem eigenen Landeplatz gelandet war, machte sich Tamme Gedanken über die vermutliche Herkunft des Konkurrenzteams. Sie gingen vor wie geplant. Es war nicht auszuschließen, daß sich der Projektor zufällig auf der abgewandten Seite des anderen Paars befand, aber sie konnten jetzt lediglich versuchen, ihre Chancen zu verbessern, nicht sie hundertprozentig zu machen.

Und plötzlich war der Projektor da, auf dem freien Platz unterhalb einer Kreuzung. Tamme näherte sich ihm vorsichtig, aber er war echt. Und er war aufgeladen.

Jetzt stand sie vor einem Dilemma. Sie kontrollierte den Projektor, aber ihre wichtigere Mission war es, die Konkurrenz der Erde zu eliminieren, selbst die von einer sehr nahen Alternativwelt. Sollte sie ihre Gegenspieler jetzt angreifen?

Nein. Wenn das andere Paar dieselbe Hexaflexagon- Route eingeschlagen hatte, mußte es früher dran sein, denn die zweistündige Aufladungszeit der Projektoren sorgte für einen zeitlichen Abstand, der mindestens dieser Spanne entsprach. Aber es war auch möglich, daß die anderen andersherum flektierten - rückwärts also. Was bedeutete, daß sie den wandernden Pflanzen und dem säurespritzenden Hüter noch nicht begegnet sein konnten. Der andere Agent, männlich oder weiblich, würde also in Topform sein und alle körperlichen Vorteile auf seiner Seite haben. Das war nicht gut.

Es war besser, weiter der nächsten Subschleife zu folgen und die Konkurrenz anzugreifen, wenn sich ihre Wege wieder in diesem Gefüge kreuzten. Dann würde sie bereit sein.

Mit Glück würde der Agent nicht einmal auf das Zusammentreffen vorbereitet sein, und das würde ihr Augenhandicap mehr als ausgleichen.

Sie aktivierte den Projektor.

Und sie standen zwischen

Funken.

»Sehen Sie sich das an!« sagte Veg beeindruckt.

»Ein Heimatgefüge der Mustereinheiten«, sagte Tamme. »Eine weitere bedeutsame Entdeckung.«

»Ja. Sie haben uns auf dem Basar davon erzählt, aber so bald hätte ich es nicht erwartet.«

Weder versteifte sich Tamme, noch gab sie sonst eine Reaktion von sich. Ihre Agentenkontrolle funktionierte bestens. Statt dessen fuhr sie fort, als ob er nichts Ungewöhnliches gesagt hätte, und horchte ihn aus.

»Auf dem Basar haben sie viel gesagt!«

»Ja. Aber was könnten wir sonst tun? Indem wir kooperieren, retten wir wenigstens unsere eigenen Alternativen - vielleicht. Es tut mir leid, wenn wir gegen unsere Duplikate, die dort nicht hingekommen sind, vorgehen müssen, aber letzten Endes muß jede Welt für sich selbst sorgen. Und wenn sich die Mustereinheiten gleich hier auf der Route befinden. Nun, um so besser.«

»Wenn uns diese Muster nicht entdecken und geradewegs aus dem Netz befördern.«

»Ja. Machen wir weiter.«

Sie machten mit der Suche weiter. Aber jetzt wußte Tamme Bescheid: Sie hatte den falschen Veg mitgenommen. Dieser hier reiste in umgekehrter Richtung und war zumindest auf einer anderen Alternativwelt - dem »Basar« gewesen, auf der sie nicht gewesen war. Und dort war irgendein Abkommen oder Vertrag geschlossen worden, in dem es um andere alternative Vegs und Tammes ging.

Sie hatte recht gehabt: Sie selbst, von einer anderen

Alternativwelt, war ihr Feind. Und es war wirklich sie selbst, denn Veg hätte für den Fall, daß sein Begleiter ein männlicher Agent gewesen wäre, den Unterschied augenblicklich gemerkt.

Jedes Gefüge muß für sich selbst sorgen! Ihr Veg hätte dem nicht zugestimmt, dieser Veg aber tat es.

Ironischerweise zog sie die Haltung ihres Original- Vegs vor. Er hatte mehr Gewissen; er engagierte sich. Jetzt allerdings befand er sich bei der anderen Tamme.

Sie mußte diese Subschleife hinter sich bringen und zurück in den Klettergarten kommen, bevor die feindliche Tamme begriff. Die Schlange würde ebenfalls nicht lange dafür brauchen! Solange sie jedoch den Projektor nicht lokalisierte, würde sie ihr Suchschema fortsetzen, so daß es nur zu wenigen Kontakten zwischen Agentin und Mann kam. Aber wenn sie ihn fanden und auf das Aufladen warten mußten, würde Zeit genug sein.

Und wenn sie das Hemd fanden, das an der Ankunftsstelle festgebunden war. Es würde zwei Hemden geben, eins von jedem Veg. Deutlicher ging es nicht! Warum hatte sie nicht daran gedacht, dieses Hemd mitzunehmen?

Es war letzten Endes pures Glück gewesen, daß sie den Projektor zuerst gefunden hatte. Sie hatte ihr Schema nach dem zweimaligen Sichten der Konkurrenz aufgebaut und dabei hatte es sich bei wenigstens einer Sicht tatsächlich um ihren eigenen Mann gehandelt! Keine Kunst dabei! Aber dieselbe Art von Zufall konnte die andere Tamme zu demselben Projektor führen. Die feindliche Tamme würde warten müssen, während sich diese Tamme bewegen konnte - wenn sie den Projektor in diesem Gefüge bald fand.

Vielleicht würde es besser sein, den Kontakt völlig zu vermeiden und einfach weiterzugehen. Nein, das würde bedeuten, ihren Veg im Stich zu lassen und einen mitzuschleppen, der sich mit Sicherheit als unkooperativ erweisen würde, wenn er die Sachlage begriff. Und sie war in einer Subschleife gefangen, aus der sie nur auf dem Weg durch das Klettergartengefüge wieder herauskam.

Der Projektor in dieser Subschleife würde vermutlich aufgeladen sein. Sie konnte die Rundreise innerhalb einer Stunde zu Ende führen und den Gegner völlig überraschen. Das wäre am besten. Ihr Sehvermögen würde sich in dieser Zeit stark verbessern, aber noch wichtiger war das Überraschungselement.

Und was war mit diesem Veg? Er brauchte nicht Bescheid zu wissen. Seinen Zweck, sie zu alarmieren, hatte er bereits erfüllt, und eine Bedrohung stellte er nicht dar.

»He, das hier sind nicht dieselben«, kommentierte er, während er einen Funkenwirbel unmittelbar vor seinem Gesicht beobachtete. »Sehen Sie doch, sie sind kleiner, und es gibt kein Kommen und Gehen. Sie bleiben einfach in dieser Alternative, als ob sie es nicht besser wüßten.«

»Studieren Sie sie«, sagte sie und hielt dabei nach dem Projektor Ausschau. »Die Information könnte wertvoll sein.« Vielleicht würde er dadurch beschäftigt sein und ahnungslos bleiben.

Er beobachtete das Muster. »Wissen Sie, was ich denke? Das hier ist primitiv, wie ein dreidimensionales R-Pentomino. Es reitet lediglich auf einigen wenigen Elementen, hält sich am Leben und tut ansonsten nichts Besonderes. Vielleicht ist dies hier nicht die Heimat-Alternative der Funken, sondern bloß eine Randalternative, mit tierhaften Mustern statt fortgeschrittenen intelligenten. Genau wie bei uns muß es auch bei ihnen eine große Bandbreite von Stadien geben - einige kaum mehr als Amöben, andere wahre Supermenschen. Supermuster, meine ich.« Er kicherte.

Ganz sicher war er an Orten gewesen, an denen sie nicht gewesen war. R-Pentomino? Er schien über die Funken viel besser im Bilde zu sein. Man merkte es an seiner Terminologie und an seiner Haltung. »Vielleicht können Sie die ganze Sequenz der Muster herausfinden«, schlug sie vor.

Wo war dieser Projektor?

»Ja. Wie sie als kleine dreidimensionale Wirbel auf den Elementen anfangen, wie Windstöße, die über die Blätter einer Pappel huschen, und dann beginnen, die Dinge so zu modifizieren, daß sie ihnen passen. Wie sich einige von ihnen in Raubmuster verwandeln, die andere verschlingen, bis die guten Muster lernen, sie mit Gleiterkanonen abzuschließen. Aber dann fangen auch die Bösen an zu schießen, und sie entwickeln sich immer weiter - einer frißt den anderen, nur daß sie alle lediglich Muster auf Energie-Schwingungsknoten sind. Schließlich erreichen sie ein höheres Bewußtsein, wissen aber nicht einmal, was es heißt, physisch zu sein. Sie glauben, daß die einzig mögliche Intelligenzform die Intelligenz von Mustern ist. Und wenn sie schließlich auf intelligente materielle Wesen stoßen, ist das wie ein Alptraum, wie Monster aus der Tiefe, unmöglich, aber furchtbar. Ja, ich glaube, ich kann es jetzt verstehen. Zu dumm, daß wir nicht mit ihnen reden können, daß wir ihnen nicht sagen können, wie gut wir alles verstehen.«

Tamme unterbrach ihre Suche und hörte zu. Was der Mann da von sich gab, ergab einen Sinn!

Konnte dies das Grundprinzip der mysteriösen Mustereinheiten sein? Die Maschinen nannten sie Feinde, aber wenn es sich tatsächlich um ein gewaltiges Mißverständnis handelte.

Dann entdeckte sie den Projektor und schob alle irrelevanten Überlegungen zur Seite.

»Gehen wir, Veg!«

Einen Schritt in das

Orchester, dann einen weiteren zurück

in den Klettergarten.

»Ich habe deinen Mann gefangengenommen«, sagte die andere Tamme und deutete mit einer kurzen Kopfbewegung die Richtung an.

»Ergibst du dich?«

Rhetorisch: Sich ergeben bedeutete sterben. Aber es stimmte: Veg war mit den beiden Hemden wirkungsvoll gefesselt und geknebelt. Seine Beine waren so zusammengebunden, daß er an den Knien von einer der Stangen hing.

»Was soll das?« fragte der freie Veg verblüfft. »Warum hat sie ihren eigenen Begleiter gefesselt?«

Tamme blickte ihn an. »Ich bin die andere Agentin. Ich bin nie auf dem Basar gewesen.«

Der erwartete Schwall von Emotionen durchflutete ihn. Er war ein Fremder, und doch war er weitgehend Veg, schwerfällig einerseits, großartig andererseits.

»Warum haben Sie mich dann nicht.«

»Gefesselt? Zu welchem Zweck? Sie ist es, die gefährlich ist.«

»Aber sie hat mich gefesselt - Sie jedoch nicht!«

»Vielleicht kenne ich Sie länger«, sagte Tamme. Und bin weich geworden. »Obgleich es nicht eigentlich Sie waren, den ich kannte.«

Natürlich hätte sie ihn stärker unter ihre Kontrolle bringen sollen, als Gegengewicht zur Drohung der Al- ternativ-Tamme. Schon wieder ein Fehler.

Der freie Veg blickte von einer Tamme zur anderen. Dann sagte er zu der anderen: »Hören Sie, ich habe

meine Meinung geändert. Ich kämpfe gegen niemanden. Das alles ist nicht recht.«

»Dann gehen Sie und binden Sie Ihr Double los«, sagte Tamme, die erkannte, daß sich ihr menschlicher Irrtum auf seltsame Art und Weise in einen Vorteil verwandelt hatte: Der Alternativ-Veg war neutralisiert worden. »Ihr Männer seid im Grunde friedfertig. Sie und ich, wir haben diese Bedenken nicht.«

»Ja.«

Der freie Veg ging, um dem Gefesselten zu helfen, zwischen den beiden Frauen hindurch. Dann blieb er stehen und blickte seine eigene an. »Okay, ich kann es nicht aufhalten. Aber vielleicht kann ich für Fairneß sorgen. Trennt euch von euren Energiewaffen.«

»Gehen Sie aus dem Weg«, sagte Tamme Zwei. Sie hielt einen Laser in der Hand.

»Oder erschießen Sie mich zuerst«, sagte Veg. »Wenn Sie dieses Ding einsetzen, müssen Sie mich sowieso irgendwann erschießen, denn ich werde mit Ihnen nicht mehr zusammenarbeiten.«

Er meinte es ernst. Die Signale waren überall an ihm zu erkennen. Tamme wußte, welche Gedanken der anderen durch den Kopf gingen, denn es war auch ihr Kopf - ihr Bewußtsein vor ein paar Tagen, als sie noch härter und durch individuelle Empfindungen weniger korrumpiert gewesen war. Veg war mehr als nur neutralisiert worden. Er sympathisierte jetzt mit der Tamme, die er nicht gekannt hatte, die friedfertiger war als seine eigene. Aus Schwäche war Stärke geworden. Tamme Zwei konnte auf ihn verzichten, aber der Mann verfügte über lobenswerte Qualitäten und erwies sich als nützlicher als erwartet. Warum ihn sich ohne Notlage zum Feind machen? Vor allem, da sie sich im Vorteil befand, denn die andere war augenscheinlich im Gesicht verletzt worden.

Tamme Zwei ließ ihren Laser sinken. Tamme Eins zog den ihren und ließ ihn sinken. Weil sie beide Agentinnen waren, konnten sie einander lesen - wenigstens gut genug, um erkennen zu können, ob eine Waffe weggelegt oder abgefeuert werden sollte. Die Laser fielen fast gemeinsam durch den endlosen Schacht der Kubikel.

»Und benutzt keine anderen«, sagte Veg Zwei. »Nur eure Hände und handgetriebenes Zeug, okay?«

Tamme Zwei nickte. Sie würde auf diesen vernünftigen Kompromiß eingehen, um sich seinen guten Willen zu erhalten, so unbedeutend dessen Wert auch sein mochte.

Er ging weiter.

Dann bewegten sich beide Mädchen. Tatsächlich wäre der Laserschuß riskant gewesen, denn er hatte für eine sofortige Wirkung nicht genug Durchschlagkraft, und es wäre genug Zeit gewesen, um beide Waffen einzusetzen. Ein direkter Zweikampf würde eher eine Entscheidung herbeiführen.

Tamme Eins schwang sich an ihrer Stange herum und brachte sich aus der direkten Sichtlinie. Sie befand sich im Nachteil, und das wußten sie beide. Sie mußte eine Ausweichstrategie einschlagen und auf einen Durchbruch warten, der die Chancen umkehrte. Auf der Oberseite einer anderen Stange lief sie auf ihre Widersacherin zu.

Aber die andere hatte dies vorausgesehen. Eine Hand kam von unten, um ihren Knöchel zu packen. Tamme Eins sprang in die Luft und krümmte sich zusammen, um das Haar von Tamme Zwei zu packen. Die andere zuckte zur Seite und konterte mit einem Tritt nach oben.

Tamme griff nach einer Stange, schwang sich an ihr herum und kam wieder auf die Füße. Tamme Zwei schoß auf sie zu, ihren Vorteil ausnutzend. Tamme hob ein Knie, um es ihr gegen die Brust zu stoßen, aber Tamme Zwei packte ihre Schultern und setzte sich ganz plötzlich hin. Dies war eine alte Judotechnik, yoka wa- kare. Normalerweise wurde sie auf dem Boden angewandt. In diesem Fall gab es jedoch keinen Boden und unterhalb der Stangen auch keinen festen Stand. Der Zug war gewaltig. Tamme fiel nach vorne, überschlug sich in der Luft und bekam die Fußgelenke von Tamme Zwei zu fassen.

Dann kam das ausziehbare Schwert zum Vorschein. Tamme Zweis Hände waren frei, während Tamme Eins für den Augenblick ungeschützt war. Der erste Hieb traf sie an der Seite, zerschlitzte ihre Kleidung und trennte ihr Fleisch bis zu den Rippen auf. Ihr eingeschränktes Sehvermögen war ihr zum Verhängnis geworden. Sie hätte kontern können, wenn sie in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig zu erkennen, daß das Schwert gezückt wurde. Jetzt war sie verwundet, und ihr geringfügiger Nachteil verwandelte sich in einen beträchtlichen.

Sie ließ los und tauchte nach unten weg, wobei sie einen Augenblick opferte, um mit einer Willensanstrengung den Blutfluß zu stoppen. Aber Tamme Zwei ging mit ihr nach unten und schlug wieder mit dem Schwert zu. Tamme zückte ihr eigenes und hieb damit nach der Feindin, aber ihre Reflexe wurden durch die Regenerationsanstrengungen verlangsamt, und Tamme Zwei parierte mit Leichtigkeit.

Tamme streckte den Arm aus und packte mit einer Hand eine Stange. Das Zerren war schrecklich, aber ihr Körper kam abrupt zur Ruhestellung.

Und Tamme Zwei stoppte gleichzeitig mit ihr ab, trat ihr das Schwert aus der Hand und zielte mit dem ihren nach dem Herzen. Tamme wand sich zur Seite, zu langsam jedoch, und die Schwertspitze verfehlte ihr Ziel um wenige Zentimeter, bohrte sich statt dessen in ihre Unke Lunge.

Niemals zuvor hatte sich vor Augen geführt, was für eine mörderische Widersacherin sie war, wie unerbittlich, wie wirkungsvoll. Tamme Zwei war eine Agentin, die auf der gleichen Stufe stand. Tamme selbst war gegenwärtig jedoch eine Agentin, die nur über achtzig Prozent ihres Sehvermögens verfügte, überrascht worden war und an einem nachlassenden Zielbewußtsein litt. Jeder einzelne dieser Unterschiede war kritisch, und jetzt war sie erledigt. Konnte sie die andere mit ins große Nichts ziehen?

Tamme Zwei brauchte einen Moment, um das Schwert freizubekommen, denn die Wucht des Stoßes hatte die Spitze durch den ganzen Körper getrieben. Tamme nutzte den Vorteil des Augenblicks, um Tamme Zwei an der Nackenseite einen Hieb zu versetzen, der der Vorbereitung einer buchstäblichen Todesumarmung dienen sollte.

Tamme Zwei duckte sich wiederum ab, minderte die Wirkung des Schlags und blockierte die zupackenden Arme. Tamme fiel bereits durch die Kubikel, aber ihr Griff war nicht fest genug, und Tamme Zwei entwand sich ihm. Der doppelte Selbstmord würde nur eine von ihnen töten.

Diesmal folgte ihr Tamme Zwei nicht nach unten, denn sie dachte gar nicht daran, nochmals in Reichweite dieser Arme zu kommen. Statt dessen zückte und schleuderte sie ein dünnes Messer. Es schoß unbeirrt abwärts, drang in Tammes Schädel ein und durchbohrte das Hirn. »Ich gehe in den Weltraum«, sagte er.

»Wenn du das tust, bringe ich mich um«, sagte sie.

Bunny folgte entsetzt dem feierlichen, ernsthaften Dialog ihrer Eltern und wußte ganz genau, daß es nichts gab, was sie tun konnte. Sie stritten sich niemals, diskutierten niemals. Wenn einer von ihnen etwas sagte,

war es endgültig.

Tatsächlich hatten sie diese Worte niemals gesprochen. Die Worte existierten nur in Bunnys Bewußtsein, in ihren Alpträumen.

Aber sie spiegelten die stimmlose Wirklichkeit wider und mündeten im Laufe der Jahre in einer unausweichlichen Entscheidung.

Ihr Vater ging in den Weltraum, da er unfähig war, der Befriedigung eines lebenslangen Sehnens zu .widerstehen. Über den Ozean zu segeln war in seinem Erbgut verankert. Die Natur der Herausforderung hatte sich geändert, seine Reaktion darauf jedoch nicht.

Bunny verstand dies, denn er hatte ihr vom Weltraum erzählt, von seinen zahllosen Wundern, die erst jetzt enthüllt wurden, von seiner unwiderstehlichen Faszination. Neutronensterne, Schwarze Löcher, Quasare; fremde Lebensformen, mysteriöse Überbleibsel längst vergangener Reiche; Beschleunigung, freier Fall; Meteore, Kometen, Krater. Auch sie wollte gehen.

An dem Tag, an dem er sie verließ, kratzte ihre Mutter sorgfältig die Isolierung von der Stromleitung des Apartments und verursachte an ihrem Körper einen Kurzschluß. Bunny war eine Waise.

»Ich weiß, daß dein Vater im Weltraum verschollen ist und deine Mutter starb, als du noch ein Kind warst«, sagte er. »Das war es, was mich zuerst zu dir hinzog. Du hast mich gebraucht, und ich glaubte, daß das ausreichen würde.« Er machte eine Pause und ging auf dem Parkplatz hin und her, wobei er gedankenlos die Hände zusammenschlug. »Ich bin stark. Ich liebe es, mich um Dinge zu kümmern. Ich wollte mich um dich kümmern. Aber, Bunny, es ist nicht genug. Nun bin ich bereit, zu heiraten - aber ich sehne mich nach einer Frauenfigur, nicht nach einer Tochterfigur. Es würde wirklich nichts dabei herauskommen, und das wissen

wir beide.«

Sie wußte es. Sie bettelte nicht, sie weinte nicht. Nachdem er gegangen war, folgte sie dem Vorbild, an das sie sich erinnerte, so genau, wie es angebracht war. Sie sprang von der Fußgängerrampe auf den betriebsamen Schienenstrang einer wichtigen Frachtverkehrsader.

»Beide Arme an den Schultern abgetrennt, ein Bein verstümmelt, innere Organe zerquetscht. Herz und Leber noch zu retten, Nieren nicht zu retten. Gehirn intakt. Es würde ein Vermögen kosten, aber wir könnten sie wiederherstellen. Zu welchem Zweck? Sie ist medizinisch unergiebig, hat keine Eltern, keine Versicherung, keine sonstigen Zuwendungen, keine außerordentlichen Talente, und ganz offensichtlich will sie nicht weiterleben.«

»Eine geeignete Kandidatin, würden Sie sagen?«

»Ja. Man würde ihr einen Gefallen tun. Sie will sich nicht erinnern.«

»Sehr gut. Sie werden die Erklärungsprozedur genehmigen?«

»Ich sehe kaum eine andere Möglichkeit. Das oder Tod innerhalb von Stunden.«

So wurden Bunnys verstümmelte, aber lebenden Überbleibsel gesetzlich für unrettbar erklärt, und die Regierung ergriff in etwa derselben Art und Weise von ihnen Besitz, in der sie das Wegerecht durch einen Slum in Anspruch nahm.

Zwei Jahre später wurden Körper und Gehirn, neugebildet und umgeschult, unter dem Markennamen eines Agenten, Serie TA, weiblich, ausgeliefert.

Tamme schlug die Augen auf. Ein schnauzennasiger Fast-Mensch beugte sich über sie.

»Hvehg!« rief die Frau.

Ein bärtiger Mann kam und legte seine starke Hand auf die ihre. Es war eine Hand, die der des Mannes, den Bunny zu heiraten gehofft hatte, sehr ähnelte. »Sie schaffen es, Tam«, sagte er. »Wir sorgen gut für Sie.«

»Wer?« Das Sprechen fiel schwer. Sie war schwach und verwirrt und verlangte. zuviel. Er würde sie zurückstoßen, wenn er Bescheid wußte.

»Sie erinnern sich nicht, wer Sie sind?« fragte der Mann alarmiert.

Sie strengte sich an. »Ich bin TA. Und Sie?«

»Sie erinnern sich nicht an mich?« Dies schien ihm sogar noch mehr Sorgen zu machen.

»Ist dies der Beginn einer Mission? Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin, wer Sie beide sind und auch sonst nichts. Bitte sagen Sie es mir.«

Das Sprechen war eine solche Anstrengung. Sie wußte, daß sie bald damit aufhören mußte - und sie verstand kaum ihre eigenen Worte. TA?

»Ich bin Veg. Das hier ist Frau Hmpf, wenn ich es halbwegs richtig ausspreche. Sie waren schwerverletzt, nahezu tot. Ich habe Sie hierher gebracht, und die Hmphs haben uns aufgenommen. Wir sind ihnen auf unserer Reise durch die Alterkeit schon früher begegnet.«

»Alterkeit?«

»Mann! Bei Ihnen ist wirklich alles weg. Vielleicht sollten Sie sich jetzt ausruhen.«

Der bloße Vorschlag reichte schon aus. Sie schlief ein.

Ihre erste Mission als TA erfolgte auf der Erde. Man sagte ihr nichts, nicht einmal, daß es die erste war. Wie bei allen Agenten .wurde ihr Bewußtsein zwischen den einzelnen Aufträgen gelöscht und neu ausgerichtet, so daß es für sie und den Computer keinen Unterschied machte, ob es die erste oder die letzte war. Die Neuprogrammierung diente dem Zweck, die Serienidentität zu bewahren. Der Computer brauchte die Gewißheit, daß jeder Agent einer bestimmten Serie auf die gleiche Weise reagierte und berichtete. So kam es nur zu unwesentlichen menschlichen Verzerrungen. Es war so, als ob der Computer selbst die Nachforschungen angestellt hätte. Es handelte sich um ein sehr effizientes System, das FBI, CIA und ähnliche Organisationen, die nicht mehr aktuell waren, ersetzt hatte.

Wäre sich Bunny der Transformation bewußt gewesen, hätte sie es nicht geglaubt. Das schwache, zerbrechliche, unsichere Mädchen war jetzt übermenschlich geworden - im wahrsten Sinne des Wortes. Sie konnte mit fast fünfzig Stundenkilometern laufen und dieses Tempo kilometerweit durchhalten: doppelt so schnell wie der Weltrekord für Normale. Sie konnte die Füße in die Luft strecken und auf zwei Fingern gehen. Sie war gründlich mit dem Gebrauch eines ganzen Waffenarsenals vertraut, angefangen bei Bazookas bis hin zu Küchenmessern, und sie beherrschte auch den Kampf mit der bloßen Hand. Auf technischen und geisteswissenschaftlichem Gebiet besaß sie das Äquivalent mehrerer Universitätsgrade, und sie hatte ein atemberaubendes Gesicht und einen ebensolchen Körper.

Aber Bunny war sich dessen nicht bewußt. Bunny war ein Teil der Schlacke, die man beseitigt hatte. Kopf und Hirn waren bis auf das Fundament ihres Inhalts beraubt und dann neu aufgebaut worden.

Tamme fand sich in einer zu Krawallen neigenden Stadt wieder. Sie bewegte sich unter den Menschen, stellte Fragen und versuchte, sich über ihre Mission klar zu werden. Man hatte ihr einen einzelnen Namen und eine vermutliche Adresse gegeben, mehr nicht. Und zum richtigen Zeitpunkt war sie an Ort und Stelle. Es ging um ein Mordkomplott gegen einen hohen Staatsbeamten auf Reisen. Als sich das Dampfgewehr auf sein Ziel ausrichtete, tat sie dasselbe. Der Attentäter starb einen Sekundenbruchteil vor seinem Schuß, und Tam- me kehrte in ihre Garnison zurück.

Dort widmete sie sich der üblichen, fast obligatorischen Entspannung, die der Entprogrammierung voranging: Spiel war ein anerkannter Begleitumstand des leistungsfähigen Menschen. Für die Agenten kam es erst nach Vollendung einer Mission in Frage, teils als zusätzlicher Anreiz für die Bewältigung der gestellten Aufgabe, teils aber auch deshalb, weil sie zu dieser Zeit am stärksten von der Agentennorm abwichen. Frisch programmierte Agenten würden einander bis zur Langweiligkeit im voraus einschätzen können, während Agenten nach einer Mission unterschiedliche Erfahrungen zu diskutieren hatten und in gewissem Rahmen sogar unterschiedliche Menschen waren. So wurde der Umgang miteinander zur Unterhaltung.

Sie traf einen Mann der SU-Serie. Es war faszinierend. Er war beauftragt gewesen, einen illegalen Waffenschmied festzunehmen, und war mit einem der altertümlichen Ungetüme in den Fuß geschossen worden. Sie spielte nackt Wasserpolo mit ihm und war wegen seines Fußes in der Lage, ihn unter Wasser zu drücken, während sie das erste Tor schoß. Aber dann hatte er sie mit nach unten gezogen, und für vier Minuten hielten sie die Luft an, während sie sich liebten - obwohl Liebe ein zu starker Ausdruck für diese physische Freisetzung der Leidenschaft war.

»Werden wir uns jemals wiedersehen, Subble?« fragte sie, als sie in seinen Armen lag, auf der Wasseroberfläche treibend und die beinahe kampfartigen Kraftübungen genießend, bei denen kein normaler Mensch

mithalten konnte.

»Es spielt kaum eine Rolle«, erwiderte er. »Wir werden uns weder daran erinnern, noch wird es uns etwas ausmachen.«

Und er drückte ihren Kopf unter Wasser, brachte ihr Gesäß nach oben und drang wieder in sie ein - ein Vorwand, der dazu diente, den Ball zum Ausgleich ins Tor zu schlagen.

Nachdem sie ihm das heimgezahlt hatte, begaben sie sich beide zur abschließenden Entprogrammierung, und alles war ausgelöscht worden.

Jetzt aber erinnerte Tamme sich. Mit einer wütenden Anstrengung setzte sie sich aufrecht, wobei die Wunden an Seite und Brust böse schmerzten.

»Subble starb bei seiner letzten Mission!« rief sie aus.

Starke Arme legten sich um ihre bebenden Schultern.

»Ganz ruhig, Tam«, sagte Veg. »Sie träumen.«

»Nein - ich erwache gerade! Sie haben ihn gekannt! Sie haben ihn getötet!«

Er legte sie wieder ins Bett. »Wir haben ihn gekannt. Und wir haben ihn gemocht. Besonders 'Quilon. Er war einer von der anständigen Sorte. Für einen Agenten. Er mag gestorben sein, aber wir haben es nicht getan.«

Sie klammerte sich an ihn. »Ich habe Angst. Bleiben Sie bei mir, bitte!«

»Immer.« Er legte sich neben ihr nieder und glättete mit der Hand ihre gefurchte Stirn, ohne den Verband zu berühren. »Ruhen Sie sich aus. Sie sind noch immer sehr schwach.«

Tamme hatte andere Missionen. Sie durchlebte sie eine nach der anderen aufs neue: Eine war lediglich ein Gespräch mit einem Wissenschaftler, bei einer anderen arbeitete sie als Gouvernante auf einem fernen Außenposten der irdischen Kolonisationssphäre, um die Normalen bei geistiger Gesundheit zu halten. Sie hatte ihre Aufgaben stets mit absoluter, objektiver Rücksichtslosigkeit erfüllt und die Interessen der Regierung gefördert, die sie in einer Weise konditioniert hatte, wie es für sie wünschenswert war.

Bis zu ihrem Auftrag auf Paleo, der ersten Alternativweit. Bei dieser Mission hatte es sich überraschenderweise um ein Unternehmen mit mehreren Agenten gehandelt. Es brachte sie in die Gegenwart.

Als sie sich soweit erholt hatte, daß sie gehen konnte, führte Veg sie aus dem Haus. Das Gebäude war mit Blöcken aus schaumartigen Nebel errichtet worden und neigte zum Verfall. In regelmäßigen Abständen schnitten der Farmer und seine Familie neuen Nebel aus der Bank und bauten eine neue Residenz. Die Bauteile des alten Hauses wurden zurechtgestutzt, um dem Vieh als Lager zu dienen. Die Rinder mochten den menschlichen Geruch, von dem das Material durchdrungen war.

Sie waren harte Arbeiter, diese Nebelnasen (wie Veg sie nannte), und ihre Kinder halfen ihnen. Sie benutzten ihre Hände für schwere Arbeiten und die greiffähigen Rüssel für feinere. Sie ernteten gewisse Nebelsorten zu Nahrungszwecken. Die meisten schmeckten wie parfümierte Seife, waren jedoch nahrhaft. »Jetzt erinnere ich mich«, sagte Tamme. »Wir sind diesen Leuten schon einmal begegnet, und Sie haben ihnen das He- xaflexagon gezeigt.«

»Ja. Sie haben schon viele Vegs und Tammes gesehen, aber ich war erst der zweite, der ihnen zufällig das Hex gezeigt hat. Glücklicherweise, denn nur deswegen haben sie sich an uns erinnert. Ich meine, sie haben uns von den anderen, die wie wir sind, unterschieden und uns geholfen. Ich mache wie ein Verrückter He- xaflexagons. Auf diese Weise revanchiere ich mich bei ihnen.«

»Und wie soll ich mich bei Ihnen revanchieren?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe das nicht getan, um etwas dafür zu bekommen.«

Sie griff nach seiner Hand. »Bitte, ich brauche Sie. Ich will Ihnen gefällig sein. Was kann ich tun?« Oh, Gott, sie bettelte, und das würde ihn verjagen.

Er sah sie an. »Sie brauchen mich?«

»Das ist vielleicht das falsche Wort«, sagte sie verzweifelt.

Sein Mund war grimmig. »Wenn Sie ein Wort gebrauchen, das Sie nicht verstehen, deichseln sie nur daran herum. Ja, es ist das falsche Wort!«

»Es tut mir leid«, stieß .sie hervor. »Ich werde es nicht wieder benutzen. Aber seien Sie nur nicht wütend, wenden Sie sich nicht von mir ab.«

Er hielt sie an den Schultern auf Armlänge von sich. »Weinen Sie?«

»Nein!« Aber es hatte keinen Zweck. »Ja.« Wenn Sie physisch und psychisch nur nicht so schwach gewesen wäre! Starke Männer mochten so etwas gar nicht.

»Warum?«

Was außer der Wahrheit blieb übrig?

»Wenn Sie in meiner Nähe sind, fühle ich mich sicher, beschützt. Ohne Sie ist es ein. Alptraum. Meine Vergangenheit.«

Er lächelte. »Ich glaube, Sie haben sich schon bei mir revanchiert.«

Was meinte er?

»Ich verstehe nicht.«

»In erster Linie hatten Sie eine Hirnverletzung. Ich nehme an, .daß dadurch all die gelöschten Erinnerungen wiedergekommen sind - bis zurück zu. Bunny. Und Ihre Konditionierung ist aufgebrochen worden.

Deshalb können Sie jetzt Alpträume haben, die aus Ihrem Unterbewußtsein kommen, und können sich unsicher fühlen. Und deshalb brauchen Sie jemanden.«

»Ja. Es tut mir leid. Ich bin nicht stark.«

Wie ein schwaches Kind, wie ein Kind, um das man sich kümmern mußte.

Er machte eine Pause, kaute dabei nachdenklich an seiner Unterlippe. Dann: »Erinnern Sie sich an unsere Unterhaltung, in der es darum ging, was 'Quilon hat, daß Sie nicht haben?«

Sie konzentrierte sich. »Ja.«

»Jetzt haben Sie es auch!«

»Aber ich bin schwach. Ich kann nicht einmal allein stehen, und selbst wenn ich es könnte.«

Es sah sie intensiv an, ohne zu antworten. Ihre Fähigkeit, Emotionen zu lesen, hatte gelitten, vielleicht weil ihre eigenen so in Unordnung waren. Sie konnte seine Reaktion nicht ausloten, konnte sich nicht von ihr leiten lassen. Sie war auf sich selbst gestellt.

»Selbst wenn ich es könnte«, beendete sie ihren Satz mit einiger Mühe, »würde ich es nicht wollen.«

Dann kam ihr mit unglaublicher Brillanz die Erleuchtung.

»Veg, das was ich empfinde, dies alles, die Angst, die Schwäche, die Hilflosigkeit - ist das. Liebe?«

»Nein. Nicht die Angst, nicht die Schwäche.«

Sie fing wieder an zu weinen; ihre momentanen Hoffnungen hatten sich zerschlagen.

»Ich bin jetzt nicht sehr hübsch, das weiß ich. Mein Gesicht ist voller Flecken und schält sich durch die Säureverbrennung. Ich habe soviel Gewicht verloren, daß ich wie eine Vogelscheuche wirke. Ich bin wieder ganz Bunny. Ich habe also in keiner Weise das Recht, zu denken, daß Sie.« Sie unterbrach sich und führte sich vor Augen, wie rührselig sie klang. Dann war sie wü-